Villi und die Walskelette von Djúpivogur

Als erstes ist mir der Zaun um das rote Haus aufgefallen: mehrere Duzend Segelschiffe, geformt aus dicken Steinen, die wie eine Flotte das Wohnhaus von der davorliegenden Hafenbucht abschirmen. Eigentlich verrückt, dass erst mein zweiter Blick auf die beiden großen Walskelette fällt, die rechts und links den Eingang zu Villis kleinem Hof säumen.

Sagen wir es so: die ersten Schritte in die „Gallery Freevilli“ hinein, waren in meinem Fall von einer gewissen Skepsis geprägt. Insbesondere, als uns eine Touristin entgegen kommt, die uns zuflüstert: „Total skuril da drinnen. Nichts für schwache Nerven!“ Sie zeigt auf einen roten Schuppen, vor dem ein skelettierter Seemann sitzt, der seinen ebenfalls skelettierten Hund streichelt. Hmm… die Neugier ist geweckt und wir betreten einen Raum, der mit seinen Artefakten eine spontane Reizüberflutung auslöst. Schädelknochen von Schafen, diverse Wirbelsäulen von unterschiedlichen Meeressäugern, handgeschnitzte Seeleute in einem Segelboot und dazwischen ein liebevoll aus Holz angefertigter Weihnachtsbaum. Wir sind irritiert, aber gefesselt.

Also erkunden wir auch die übrigen Schuppen auf dem Gelände und sind fasziniert von der offensichtlichen Sammelleidenschaft des Besitzers. So richtig Sinn macht die Anhäufung von Knochen, Strandgut und bearbeiteten Naturmaterialien allerdings noch nicht. Kurz zögern wir, ob wir tatsächlich das Hauptgebäude mit seinem „NatureArt-Souvenirshop“ betreten wollen. Eine freundliche Mischlingshündin begrüßt uns und lädt uns quasi ein, ihr in das verwinkelte Haus zu folgen. Wir ducken uns unter dem niedrigen Türrahmen hindurch und bestaunen eine Vielzahl von weiteren Artefakten. Mein Blick folgt der Mischlingshündin, die zu einem kleinen Werkstattbereich läuft, in der ein Mann sitzt, der über Kopfhörer Musik hört und eine Polarfuchskralle bearbeitet. Er hat uns nicht wahrgenommen und merkt erst auf, als die Hündin sich neben ihn auf einen Sessel plumpsen lässt. „Ahhh… you brought tourists? Good girl!“ Seine Hand greift ins Regal und er zaubert eine Dose mit Hundekeksen hervor, die nun als Belohnung für erfolgreiche Touristenanwerbung im Magen der Hündin verschwinden. Der Mann schiebt sich die Kopfhörer von den Ohren und lacht uns fröhlich an.

Wir haben soeben Villi kennengelernt und mit ein wenig Smalltalk über seine Hündin, die wohl spannendste Stunde unseres Roadtrips eingeläutet. Denn Villi ist unheimlich freundlich und in Gesprächslaune und so bietet es sich doch an, genaueres über seine Sammlung zu erfahren. Also sage ich so etwas wie „Wow, da haben Sie aber eine tolle Sammlung zusammengetragen. Wie sind Sie an all diese Dinge gekommen?“ Villi zuckt mit den Schultern und murmelt „Na, die Leute rufen mich an und sagen: Hey Villi, da liegt ein toter Wal auf meinem Land. Was soll ich damit machen? Naja, und dann fahre ich da hin, kaufe dem Bauern den Kadaver ab und nehme ihn mit.“ Klingt logisch, bringt mich aber ins Grübeln, schließlich ist so ein Wal nicht klein. Als ich ihn frage, wie er ihn dann mitnimmt und transportiert, schaut er verschmitzt grinsend über seine Brille und fragt mich „How does an elephant fit into a VW?“ Ich hebe fragend die Schultern und er antwortet lachend „Pieces“. Ooookay … in Stücken, klingt auch logisch, aber wie bekommt man den Wal in Stücke? Hätte ich mal nicht gefragt… denn Villi erklärt fröhlich, dass man große Sägen benötigt, die an Treckerschaufeln befestigt werden … Urgs … Kurzform: es dauert Tage bis Wochen und braucht einige Helfer, um einen Wal zu zerlegen und abzutransportieren. „Und dann?“, ist meine nächste Frage? Dann verkauft Villi das Skelett. An Museen oder Wissenschaftler. Ich wieder (vielleicht ein wenig naiv) „Und wie erfahren die potentiellen Käufer von dem Wal?“ Ein erneuter Blick über den Brillenrand „I am famous“, sagt der Villi und grinst dabei so fröhlich, dass man einfach mitlachen muss. Weiteres investigatives Nachfragen ergibt, dass diese Walknochenverkäufe scheinbar sehr einträglich sind. Ich kann ihn leider auf keine Zahl festnageln. Aber Villi erklärt mir, dass eine Plastiknachbildung eines kompletten Walskelettes bereits 10.00 Dollar kostet, da könne ich mir ja ausrechnen, wie das mit dem Original aussähe. Oh. Gut. Aber wer bitte kauft so etwas zu solchen Preisen? Überraschenderweise gehen viele der Walknochen nach Deutschland. Zu einem Millionär in der Nähe von Köln, der seit vielen Jahren Walknochen zu wissenschaftlichen Zwecken einlagert. Denn wie Villi uns eindringlich erklärt, sind in unseren Ozeanen die Informationen nicht nur von unserer sondern auch aller vorhergehender Generationen gespeichert. Informationen über Umweltverschmutzung, die veränderten Lebensbedingungen der Meeresbewohner und noch viel mehr. Ich bin fasziniert. Villi erklärt, dass die Dänen ähnliche Projekte mit Eisbärknochen durchgeführt haben und eine riesige Sammlung besitzen. Ich habe von beiden Projekten noch nie etwas gehört und habe im Vorfeld dieses Artikels eine grobe Google-Suche gestartet. Leider bin ich nicht fündig geworden. Sollte einer von Euch davon schon einmal etwas gehört haben und eine Quelle kennen, schreibt es mir bitte in die Kommentare, es interessiert mich wirklich sehr!

Hätten wir nicht unser Quartier für die nächste Übernachtung ansteuern müssen, wären wir sicher noch viel länger bei Villi geblieben. Auf die Frage, ob er denn Biologe sei, antwortete er sehr vage „I studied nature. Many years.“ Insbesondere Islands Polarfuchs-Population hatte es ihm dabei wohl angetan. Wovon er denn lebe, traue ich mich zu fragen. Von den Walknochen, und den Schätzen, die er in seinem Laden verkauft. Früher habe er mit seiner Hündin Vorführungen für die Touristen gegeben, dafür sei sie jetzt aber zu alt.  Ach ja, zum Thema Hundetraining: ob ich schon einmal etwas von Hitlers sprechenden Hunden gehört hätte? Und schwupps, waren wir beim nächsten interessanten Thema…

Natürlich haben wir auch ein Andenken gekauft. Ich besitze nun einen Walflossen-Anhänger, den Villi aus einem Walzahn hergestelllt hat. Ob er Kreditkarten akzeptiere? Ein erneuter Blick über die Brille hinweg: „We don‘t like plastik here. An if you want a box …“ er hält mir einen Karton mit Umverpackungen von Zahnpasta, Glühbirnen etc. hin. Ich verzichte gerne auf eine Box und bin froh, dass Villi auch Euros akzeptiert …

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